Der Guide Michelin für 2018 wurde veröffentlicht und viele bekannte Restaurants und ihre Küchenchefs haben die Sterne behalten, andere haben sie verloren und dann gab es Neuzugänge. Hier geht‘s zur Sterne-Liste für Deutschland. Ebenso der Gault Millau 2018 (Gault Millau Restaurantguide Hessen). Apropos Restaurantführer, auf der Buchmesse traf ich den bekannten Restaurantkritiker Jürgen Dollase, denn er war am Stand der Süddeutschen Zeitung zu einer Talk-Runde mit
- Ulrich Wickert (genau, der vom Fernsehen)
- Ralf Frenzel, Verlagschef des Tretorri Verlag sowie bei der Zeitschrift FINE
eingeladen gewesen und ich hatte das Glück, ihm im Anschluss ein paar Fragen stellen zu können.
Farbenfreundin fragt Jürgen Dollase
Herr Dollase, zum Einstieg eine Frage, die ich allen meinen Interviewpartnern stelle: Haben Sie ein Lieblingsessen oder vielleicht ein „guilty pleasure“?
Nein, ich habe kein „guilty pleasure“ oder Lieblingsessen. Ich esse alles. Im Zusammenhang mit meiner kompletten Verwandlung vom Saulus zum Paulus, wie es einmal ein Kollege genannt hat, habe ich alles an Negativem abgebaut, was einen stören könnte, und das also hinter mir gelassen. Solange die Produkte gut sind, esse ich alles. Leider muss ich ab und zu natürlich auch schlechte probieren. Meine Frau, die mir in dieser Hinsicht sehr geholfen hat, ist heute eher diejenige, die gewisse Vorlieben hat oder auch bestimmte Dinge nicht isst.
Ich aber esse einfach alles. Ich habe auch keine Probleme mit etwas, wirklich mit gar nichts – so lange es einigermaßen gut schmeckt!
… keine Mousse au Chocolat?
Nicht unbedingt oder dringend, auch nicht Gänse-Essen im Winter. Das wird mir schnell zu viel. Die Gänse sind ja meist noch nicht mal gut. Nein, kein guilty pleasure….oder, warten Sie…doch, ab und zu habe ich eine gewisse Schwäche für Marzipan. Das muss aus der Kindheit stammen.
Wissen Sie, in dem Moment, wo ich ein gutes Produkt vor mir habe, ob zubereitet oder nicht, bin ich ganz dabei.
Ganz allgemein geht es mir bei der Kritik aber erst einmal um das Verstehen.
Das ist wichtig für mich, weil ich als Kritiker Objektivität behalten muss. Ich gehe nicht einfach so in ein Restaurant und habe mir schon irgendeine Tendenz vorgenommen.
Nein, es ist so: Ich gehe in ein Restaurant, um es zu verstehen. Und nicht, um zu gucken, ob die so kochen, wie ich das für richtig halte oder wie es mir schmeckt. Nein, das ist nicht das Thema. Ein gutes Gericht kann mich sofort interessieren, egal wo und wie und in welchem Stil. Die Spannweite ist da sehr groß. Das kann auch manchmal ganz spontan passieren, wie die Geschichte in Frankreich.
Dollase in Frankreich
Weil wir gerade in der Talkrunde über Frankreich gesprochen haben, es gibt in Frankreich in manchen Städten noch ganz traditionelle Läden. Zum Beispiel in Chartres, da gibt es einen Traiteur (Feinkostgeschäft mit fertig zubereiteten Speisen).
Ich ging da durch Zufall am Fenster entlang. Ich wollte da eigentlich gar nicht hinein, aber im Augenwinkel hatte ich etwas entdeckt, da zuckte irgendetwas, das mich anlockte.
„Was lag da denn?“ fragte ich mich und bin also zurück, und die Auslage im Schaufenster sah aus wie vor 50 Jahren. Diese französischen Terrinen im Blätterteig und da lag ein Hase! Vorne ein kompletter Hase mit Kopf und den Ohren und dem Püschel noch dran, dann kam die Terrine und dann das Hinterteil. Unglaublich! In Deutschland wären die Leute entsetzt wegen dieser Realitätsnähe.
Jedenfalls bin ich sofort in den Laden und habe alles Mögliche gekauft, um mal wieder diese alten Sachen auszuprobieren, denn die sind wirklich selten geworden: Terrinen und so.
Ich bin „sehr Gourmet“ „très gourmet“, das meine ich jetzt aber im französischen Sinne, d.h. ich interessiere mich für alles Essen, was interessant sein kann. Alles.
Die Bemerkung in der Diskussionsrunde gefiel mir, nämlich, dass sich der Franzose auf das Essen einlässt, d. h. er geht ins Restaurant und genießt, lässt sich einfach mal gehen und das kann auch mal ein paar Stunden dauern.
So ist es! Das sich einlassen, dabei aber ruhig und entspannt bleiben. Da muss ich gar nicht so aus dem Nähkästchen plaudern, wenn ich sage, dass für mich zu den unangenehmsten Erlebnissen in Restaurants zweifellos die Auftritte von Prominenten und Wirtschaftsbossen oder solchen hektischen Gestalten gehören. Wissen Sie, da kommt dann der Herr Dingsda und dann stören die einfach…
Apropos „das stört“ – was halten Sie denn von den Bloggern, die sich jetzt immer häufiger im Restaurant als Kritiker auftauchen?
Von den Bloggern… im Prinzip habe ich da nichts dagegen. Aber wenn ich dann lese, wie da über Restaurants geschrieben wird, kommt mir öfters das Grausen. Das hat einen einfachen Grund, denn wie gesagt, meine Maxime ist: Erst verstehen!
Okay, da gehört dazu, dass man vorher schon möglichst viel wissen muss. Man kann eigentlich gar nicht genug wissen, um alles zu verstehen. Dann erst kommt das Einordnen und vielleicht – wenn es denn unbedingt sein muss – kann man dann eine Wertung abgeben.
Bei den, sagen wir, nicht-professionellen Kollegen, habe ich oft den Eindruck, dass sie vom Kritikerdasein eher so die Vorstellung haben, man müsse auf irgend etwas herumhacken. Das passiert meistens noch aufgrund persönlicher Vorlieben und dann wird es ganz schräg.
Dann haben wir eine Privatmeinung, die auch noch schlecht unterfüttert ist mit Wissen und eine unnötige Aggressivität, die auch noch einen mangelnden Respekt gegenüber den Leistungen in vielen Restaurants darstellt. Das ist eine Melange, die ist einfach nicht gut.
Jürgen Dollase, Restaurant-Kritiker
Die wirkliche Perspektive von Kritik ist, Dinge möglichst genau zu beschreiben, einerseits, und auf der anderen Seite die Küchen mit dem richtigen Publikum zusammen zu bringen.
Das klingt banal, ist aber eigentlich das, was die Restaurant-Führer leisten sollten.
Sie tun es vielfach nicht, weil sie alle Politik machen und bestimmte Dinge bevorzugen und da sehr einseitig sind.
Es wäre doch mal hoch interessant, wirklich mehr darüber nachzudenken und Hinweise – sagen wir: zu einem sehr kreativen, modernen Restaurant – zu geben wie zum Beispiel: „Freunde der klassischen Küche sollten dort erst gar nicht hingehen“.
Dann haben wir die da schon mal gar nicht drin und dann machen sie auch keinen Ärger, salopp gesprochen.
Verstehe… Gute Idee!
Es gibt ein inzwischen sehr berühmtes Berliner Restaurant, da war einmal ein berühmter deutscher Intellektueller zu Besuch, der hat einen naja, meiner Meinung nach schwachsinnigen Text geschrieben und zum Schluss dann noch die Bemerkung gebracht: „…und weil die Portionen im Restaurant so klein waren, musste ich zuhause erst einmal eine anständige Käse-Stulle essen.“
Dies als ein Fazit über einen Besuch in einem Restaurant, das heute übrigens zu den kreativsten und besten des Landes gehört und mittlerweile mit zwei Michelin-Sternen (2017) ausgezeichnet wurde.
Da kommen einfach die falschen Leute zusammen. Da ist weder die Küche schlecht noch sonst etwas. Es sind einfach nur die falschen Leute am falschen Ort.
Ich sag mal ganz salopp: “Wer Heino hören will, muss nicht in die Oper gehen.“
Toller Vergleich, Herr Dollase!
Danke für diese klaren Worte, lieber Herr Dollase. Ich werde weiterhin sehr gerne ihre Texte im Blog oder anderen Publikationen lesen.
Dankeschön! Ich tu‘ mein Bestes.
Naja und je älter ich werde, desto entspannter werde ich natürlich. Ich muss mich nicht verkaufen oder sonst etwas. Ich kann mich mit den Dingen selbst befassen, was eine schöne Art der Beschreibung ist. Ich kann also schreiben was ich will und genau so wie ich es wahrnehme.
Und was die Beschreibung angeht, habe ich natürlich lange Jahre daran gearbeitet, eine Detailliertheit im Beschreiben zu erreichen, die sonst vielleicht niemand hat – das sagen viele Leute über mich und das gefällt mir.
Super, und ich bin eine der vielen Leserinnen. Machen Sie bitte weiter so.
Vielen Dank, alles Gute auch für Sie!
Dankeschön, Herr Dollase.
Hier noch der Link zu seinem Blog „Eat, Drink, Think“
Foto: Guide Michelin
Guide Michelin Sterne
Apropos Sterneküche. Für mich als Blogger war natürlich die Auszeichnung mit gleich zwei Sternen für das Restaurant Schwarzenstein mit Nils Henkel als Küchenchef eine große Sache.
Ich hatte ihn erst im Sommer kennen gelernt und sogleich mit dem Sommer-Interview für meinen Blog befragt. Die Auszeichnung durch den Guide Michelin in 2018 mit gleich zwei Sternen für ihn und sein Team ist fantastisch und absolut verdient und ganz ehrlich habe ich damit auch ein bisschen den Glauben an die Sterne wieder gefunden.
Das alteingesessene, schöne Restaurant Laurentius in Weikersheim im Taubertal wurde 2018 ebenfalls mit einem Stern ausgezeichnet. Warum ich gerade das erwähne?
Naja, ich komme ursprünglich aus dem Taubertal, von der „Romantischen Straße“, und da freut es mich natürlich umso mehr, wenn dort ein Stern vergeben wird. Ganz viele andere gute Restaurants wurden nicht ausgezeichnet, wieder andere haben ihre Sterne behalten – nicht alles versteht man und deshalb bleibt Essen halt auch Geschmacksache.
Weiterführende Infos:
Jürgen Dollase gilt als „der wichtigste Gourmet Deutschlands (Südkurier), der „einflußreichste“ (taz) und der „beste deutsche Gastronomiekritiker“ (SZ-Magazin,9/2016) – sagt Wikipedia. Er publiziert regelmäßig in der FAZ und anderen Publikationen und auch im Blog Eat Drink Think, den er im Team herausbringt. Außerdem hat er schon einige Bücher veröffentlicht, u.a. das Buch Geschmacksschule“ (Tre Torri Verlag)