Leben

„Haste was machen lassen?“

Bärbel Klein Portrait

Der morgendliche Blick in den Spiegel ist auch in jungen Jahren nicht immer erquicklich. Frauen wie Männer fühlen sich manchmal ziemlich „verknittert“. Hat man als Frau die 50 überschritten, ist das Spiegelbild noch ein viel größeres Minenfeld als jemals befürchtet und angekündigt. Wie heißt der Instagramaccount so schön „nobodytoldme“

Genau, niemand hat mich darauf vorbereitet! Klar, auch meine Mutter meinte „Altwerden ist nichts für Feiglinge“. Doch sie war fast 90 und naja, benutzte einen Rollator. Da denkt man, in DEM Alter ist das wirklich kein Kinderspiel mehr. Doch Moment, dass das Abenteuer „Alter“ bereits mit 50 anfängt oder noch früher, hat mir keiner gesagt: Nobodytoldme!

Bei den meisten beginnt das Abenteuer mit der Gleitsichtbrille oder mit grauen Haaren. Apropos, wusstest Du, dass es Viele gibt, die bereits Ende Zwanzig ergraut sind? Die Haarfärbung überdeckt das Thema und so denkt man lange, dieses Problem mit den grauen Haaren gäbe es erst um die Fünfzig, denn ab 55+ haben wir es dann alle – Männer und Frauen, mehr oder weniger sichtbar. Doch wetten, dass alle die App mit der Lupe auf dem Mobiltelefon haben und mindestens eine Brille irgendwo im Handschuhfach?

Jede Lachfalte steht für einen besonders schönen Moment!

Das ich nicht lache, kennst Du den Kalenderspruch: „Jede Falte habe ich mir hart erlacht!“ Das braucht doch keine. Bei Männern wirken die Lachfältchen immer noch „süß“ und bei grauen Haaren werden Vergleiche zu Richard Gere oder George Clooney gezogen. Wenn ich morgens meine Augenfalten, meine Nasobialfalte und die anderen „Linien“ betrachte, ziehe ich eher Vergleiche zu einem schrumpeligen Apfel und einer vertrockneten Pflaume. Ja, ja, ich weiß, Bodyshaming und so, selfcare ist die Devise. Ja, ja. Ich übe mich redlich.

Kürzlich morgens traf mich dann der Schlag: Beide Schlupflider lasteten so dick und schwer auf meinen Augen, dass ich flink und direkt nach dem ersten Kaffee schon die Nummer des Institut für Plastische Chirurgie rausgesucht hatte. Bei einer Modenschau in Frankfurt hatte ich Zeynep, eine total nette Chirurgin aus dieser Praxis kennen gelernt und ja, bei ihr würde ich das machen lassen. Auch Susann Atwell geht für’s Botox dorthin und die Instagram-Bilder machen Mut. Etwa zweieinhalb Tausend würde es kosten… Also nahm ich das Telefon in die Hand, doch es war Samstag und sie hatten zu.

Doch dann kam der Anruf, der alles änderte

Das Telefon klingelte und mein Bruder berichtete, dass er Opa geworden ist. Was eine schöne Nachricht – eigentlich! Doch oh, Schreck. Das Baby hatte eine schwere Geburt, zudem einen Herzfehler und das Leben hängt seither an einem seiden Faden, Intensivstation und pipapo… Genau im rechten Moment hat mir das Leben die Prioritäten gezeigt! (Genug andere Zeichen gibt’s täglich in den Tagesthemen, derzeit das schlimme Erbeben an der türkischen Grenze mit fast zehntausend Toten oder der Krieg in der Ukraine)

Statt trübsinnig im Vergrößerungsspiegel meine Falten zu zählen, sollte ich mich glücklich schätzen, dass mein Körper mich seit über 50 Jahren nicht im Stich gelassen hat und gesund ist.

Statt die Falten zu zählen, sollte ich einfach froh sein, nicht vom Tod oder Elend bedroht zu sein. Ja, ein blöder Spruch. Aber hatten wir nicht kürzlich erst Pandemie und dabei erlebt, wie schnell der Spaß vorbei sein kann?

Außerdem: Du bist was Du isst. Ernährung ist der A&O bei der Altersvorsorge und wenn man sehr viel Kaffee trinkt, raucht und dazu noch Alkohol und Stress und wenig Bewegung, dann sieht man das auch irgendwann an der Haut.

Mein Credo, bevor ich mich also unter’s Messer schwinge, stelle ich die Lebensgewohnheiten um, denn viel frische Luft und eine gute Atmung machen schön, denn die Haut braucht Sauerstoff! Es verjüngt und erhält, sonst liegst Du nämlich alle paar Jahre wieder unter’m Messer und naja, das wird teuer. Ebenso Botox – kostenlos ist das alles nicht. Und der Pickel links oben geht damit auch nicht weg. Ebent. Einfach Krönchen richten und das Leben leichter nehmen.

Apropos Schlupflid. Im Laufe des Tages ging die Schwellung etwas zurück und ich konnte durchatmen. Außerdem übe ich seither wieder Facegym und achte auf mich, denn ich habe überlegt: Soll ich jetzt alle 10 Jahre für zweieinhalb Tausend die Lider machen lassen? Und was ist mit der Nasobialfalte und den Hängebacken und der Falte in der Stirn… das nähme ja kein Ende. Kurzum, der Rest ist ja noch ganz prall, also habe ich alle Aktivitäten in dieser Hinsicht abgeblasen.

Eine OP ist auch keine Lösung

Klar, jede wie sie mag. Trotzdem werden wir die Zeit nicht zurück drehen und hab ich die Lider gestrafft, fängt mein Knie an zu ziepen, der Hallux und die Arthrose sowieso und die neue Gleitsichtbrille klopft ebenfalls an.

Also bin ich wieder da, wo ich kürzlich schonmal war: Bewegung und Achtsamkeit. Für das Gesicht das berühmte Face Gym, Gymnastik für (gegen) den Hallux, für mehr Kraft in den Armen, für eine gute Haltung. Den Plan mit den Schlupflidern und der OP usw, habe ich vorerst wieder ad acta gelegt, denn für zweieinhalb Tausend Euro kann ich viel Face Gym machen und dazu noch einen Kurztripp ans Meer buchen und es mir gutgehen lassen. Genau das werde ich nun tun.

Doch trotzdem, das sei gesagt, ich verstehe jeden, der es anders macht und der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen möchte. Denn, wie sagte meine Mutter schon: Altwerden ist kein Kinderschlecken.

P.S. Ein Foto aus jüngeren Jahren, schön fotografiert von Sabine Kristan irgendwann vor Corona. Vielleicht sollte ich mal ein aktuelles Foto machen, denn so ganz stimmt das Antlitz nicht mehr…